Gutes tun

„Der Mensch (…) ist vor die Aufgabe gestellt, aktiv gut zu sein. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Das Gute ist relativ. Es ist relativ, weil es neben dem jeweils Guten stets das Bessere gibt, das wir suchen und anstreben wollen. Aktives Gutsein geht daher Hand in Hand mit dem Suchen nach Besserem. Besseres und von Tag zu Tag mehr Gutes zu leisten, sollte unser ständiges Bemühen sein“ Hermann Gmeiner, in: Honsal, C. J., 2009, Der Vater der SOS-Kinderdörfer, Die Biografie, S. 249.

 

Wollen wir nicht alle gute Menschen sein? Aber was bedeutet es, „gut“ zu sein? Selbst in ganz einfachen Situationen lässt sich nicht wirklich definieren, was eine gute Handlung ausmacht – denn niemand von uns kann alle Folgen seines Handelns abschätzen und sicher sein, dass eine scheinbar gute Tat auch in der Folge Gutes nach sich zieht.

 

Vielleicht glauben Sie jetzt, dies sei ein abstraktes Problem, mit dem sich nur Philosophen und Moralapostel herumschlagen sollten, aber im Gegenteil: die Definition, was eigentlich eine „gute Tat“ ist, beeinflusst ganz konkret das Leben der Menschen in der Barackensiedlung von Terra Boa und auch unsere Arbeit im AACTB, nämlich genau dort, wo die Welt dieser Menschen mit Ihrer zusammentrifft, die Sie die Insel Sal besuchen oder unsere Arbeit aus der Ferne verfolgen. Immer mehr Touristen kommen auf die Kapverdischen Inseln, so auch nach Sal, und sie sind eine wichtige Einkommensquelle für die Einheimischen. Leider bezieht sich das aber nicht nur auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern Touristen aus reichen Ländern sind auch eine direkte Geldquelle für die Slumbewohner.

 

Stellen Sie sich vor, dass bei einer Ihrer Touren über die Insel oder beim Schlendern durch Santa Maria oder Espargos sich Ihnen ein paar Kinderhände entgegenstrecken – ein charmantes Lächeln oder ein tieftrauriger Blick. Wie sollte man da widerstehen? Wäre es nicht herzlos, nein zu sagen? Auf den ersten Blick mag das so aussehen, aber nicht wenn man weiter denkt als daran, diesem einen Kind unmittelbar helfen zu wollen und das eigene schlechte Gewissen zu erleichtern.

 

Viele Kinder auf Sal werden systematisch von ihren Familien zum Betteln eingesetzt. Oft besteht das Haupteinkommen einer Familie aus genau diesen Einnahmen. Das Problem dabei: diese Kinder lernen, dass das Betteln eine einigermaßen gute Existenz bietet und wachsen damit auf. Womit sie nicht aufwachsen ist das einzige, das sie aus diesem Armutsteufelskreis befreien könnte: Eine gute Schulbildung. Denn diese bleibt bei den täglichen Einsätzen in den Touristengebieten auf der Strecke. Um es noch schärfer zu formulieren: jede Gabe an eins der bettelnden Kinder ist keine Hilfe, sondern im Gegenteil ein Verhindern langfristiger Hilfe und einer grundlegenden Änderung der Situation der Betroffenen!

 

Was also tun? So schwer es fällt, einem bittenden Kind „nein“ zu sagen – tun Sie es trotzdem! Und bewahren Sie sich ein wenig Ihres schlechten Gewissens, damit Sie das Geld, das Sie dem Kind direkt in die Hand gegeben hätten, dem AACTB zukommen lassen. Nur so können Sie sicher sein, dass die Hilfe ankommt und langfristig positive Folgen hat: Durch Ernährungs- und Gesundheitsprogramme, durch den Einsatz von Schulbussen, damit die Kinder Zugang zur Bildung haben und zur Versorgung mit sauberem Wasser. Lassen Sie also Weitsicht walten und helfen Sie uns, das System aus Betteln und dem Verharren in Armut zu verändern: das Bessere zu tun!

 

Gastbeitrag von D. P., Autorin

Gastbeitrag R. T. Mischer vom 15.05.2016

Wir danken herzlich Ralf T. Mischer für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung seines wunderbaren Beitrags hier. Ein guter, wahrer und berührender Artikel über das Reisen und über das Ankommen. Lieben Dank.

Früher sagten Leute wie ich, solche die der Hunger nach Sonne, Freiheit, Erholung und Glück hier auf dieses Ende der Welt auf diesem verflucht winzigen Sandkorn im afrikanischen Atlantik getrieben hatte, dass das einzig Verlässliche das Wetter sei: Nordostpassat und Sonne. Wind und Hitze, immer, so sicher wie die Renditen an der Wallstreet. Und der ganz große Business, die Riesenhotels mit den Riesenrenditen, die gab es damals noch nicht; also ein gutes Gewissen gab's als Sahnhehäubchen obendrauf. Dieser Wind weht noch. Vielleicht ein Grund dafür, dass sich hier jeder um seins sorgt, jede Muschel, jeden Escudo, jeden kleinen Atemzug und sogar um den tödlichen Killer vor der Sharkbai: alles könnte morgen schon zwei Dünen weiter geweht sein. Kein Urlaub hat mir den Kontrast zwischen Haben und Wollen und zwischen Sein und Werden, zwischen Licht und Dämmerung klarer gemacht, als diese Reise nach Cabo Verde. Paradies für viele. Alltag für die meisten. Und eine Menge Leben für alle. 

 

Whatever we catch, we like, sagen die Fischer in Palmeira. You Like it? You Like it? Und den Touris in ihren Fully-Functionally-Outdoor-Hot-Summer-Hosen hämmert es durch. Trotz Gore-Tex und diesem ganzen Scheiß: es gibt ein Leben jenseits der Verdammt-Ich-Bin-Ja-So-Verflucht-Zufrieden-Weil-Ich-Genug-Verdiene-Welt. Es ist das Leben derer, die heute dafür beten, dass sie morgen nicht verhungern. Sie lächeln dabei stets. Und summen versonnen eine verträumte Melodie von Cesaria Evora, weil ja überhaupt nichts ohne Musik geht, hier, am Ende der Welt. Sie nicken mit dem Kopf und blinzeln in die Sonne. Die scheint einen stillschweigenden Pakt mit dem Passatwind zu haben: Du wirbelst Staub auf; ich sorge für die Beleuchtung, dieses Licht, das einem John-Wayne-Western gut zu Gesicht gestanden hätte.

 

Die kapverdischen Inseln, freie Inselrepublik, zählen mit einem durchschnittlichem Jahreseinkommen von 3422 Dollar zu den reichsten Ländern Afrikas. Das sind, nach aktuellem Kurs, 3074 Euro jährlich und 256 Euro im Monat. Ziemlich wenig. Aber es kommt, wie immer im Leben, auf die Perspektive an. Alle Lebensmittel auf der Insel sind verdammt teuer. Das meiste wird eingeflogen. Aus Afrika, Europa oder Asien. Oft bleibt bei den Kleinunternehmern und Fischern und Hotelangstellten abends der Magen leer. Aber es gibt eine andere Rechnung. Und die geht so: Das Durchschnittshotel auf den Inseln hat fünf Sterne und die Touris buchen in der Regel All-In, Durchschnittspreis: 500 Euro mit Flug. Pro Woche. 

 

What you Like, murmeln die Fischer. Who are you? What would you like to remember? Und am Kai tragen sie tote Thunfische vorbei. Mag ja auch nicht jeder. So einen toten Fisch. Und es klingt ein wenig wie eine Weisheit des großen und ziemlich toten Hemingway. Den kann ja auch nicht jeder leiden, der Satz ist aber gar nicht von ihm, sondern von einem Fischer, der jeden Morgen am Fischersteeg von Santa Maria steht. Mit Hut auf dem Kopf und Kippe im Mundwinkel. Bruno César Fernandes Pereira (65) hat gesagt, was Fischer sagen. Egal, wo sie sind: „Manchmal beißen sie. Manchmal nicht. But Whatever you catch, the Soup will get a good Supper.“ In Cabo Verde beißen sie eher schlecht als recht. Weil die Inselrepublik die Hochseefangrechte verkauft hat. Schon seit Jahren. Und direkt vor der Küste dümpeln magere Haie und dünne Schwarmfische herum. Aber manchmal haben auch die Glück, die nicht mehr dran glauben, und eine Gruppe Thunfische verirrt sich an die Strände. Und das größte Glück, das sich ein Fischer denken kann, ist berechenbar: Geld, jeden Tag. Und das kam, wie alles hier, mit dem Wind aus dem Norden. Es war ein falsches Glück. Mitte der Nullerjahre, 2005, eröffnete ein Großhotel der Riu-Kette, 2000 Urlaubern dient es als Raumschiff, das sie mit eigenem Lebenserhaltungssystem, Kraftwerk und Wasserwerk, dazu sechs Restaurants, sechs Bars, fünf Pools, einem Theater, zwei Discos und Security-Service, durch die pittoreske Seite Afrikas wiegt. Und der Strand ist ihre Ausstiegspforte ins All: Den stets handwarmen Atlantik. Doch die Einheimischen haben nicht viel davon. Der All-In-Betrieb macht Ausflüge ins Fischerdorf für die meisten zu einer ziemlich entbehrlichen Freizeitbeschäftigung. Sally aus Dover sagt, dass man ja hier auch alles habe. Die 39-Jährige kommt seit acht Jahren her. Von der Insel hat sie die Straße vom Flughafen zum Hotel gesehen - und einmal war sie sogar in Santa Maria. "But they annoyed me. Everybody asked me to come here or to buy that." Am Strand entstehen gerade sieben neue Großhotels, darunter ein riesiges Hilton. Das sollte eigentlich schon Mitte 2015 fertig sein. Die Kräne und Bagger stehen aber noch. Einheimische Firmen und Kleinunternehmer profitieren von den Investitionen nur, solange gebaut wird, und das Raumschiff noch nicht ganz Flugbereit ist. Deshalb dauert es auch immer länger, als die Hotelindustrie eingeplant hat, bis ihre Bird of Preys endlich abheben.

 

"I'm quite happy on it", sagt Jason Landsome, der vor vier Jahren von Gambia hierher gekommen ist. Darüber, wie er all das gemacht hat, mag er nicht sprechen, und auch darüber, dass er seitdem in zehn verschiedenen Hotels gearbeitet hat, immer kurze Jobs, verliert er sich in einem Nebensatz. Heute hat er sein eigenes Geschäft in Santa Maria - und verkauft hölzerne Talismane, Glücksbringer, gefertigt auf dem afrikanischen Kontinent, an Touristen. "It brings You good luck", wiederholt Jason immer wieder, "good luck, good luck". Nicht alle schaffen es. Der Slum von Terra Boa wächst jeden Tag. Seine aus Strandgut und Hotelmüll gezimmerten Hütten verschlingen die Hoffnung derer, die sie bauen. Anne Seiler kämpft dagegen an. Die Münchnerin hat ein Ausflugsunternehmen gegründet, fährt ihre Kunden, vorwiegend deutsche Urlauber aus den Großhotels, mit Jeeps zu den Ecken, die vom Tourismus verschont sind – etwas mehr als drei Viertel der Insel: Alte Windmühlen mit Ich-Spiel-Dir-Das-Lied-Vom-Tod-Charme, stillgelegte Salinen, endlose, menschenleere Strände, verschlafene Fischerdörfer, die Haifischküste, an der Touristen ins flache Wasser steigen, um Zitronenhaie zu streicheln, kleine Kirchen und riesige Schiffswracks, die wie Reißzwecken in einer Pinnwand im Meeresboden stecken und den Blick auf die Sonne verdecken. Und dann eben auch das: die Fahrt durch den zweitgrößten Slum der Insel. Mit Stopp am Kindergarten, den Seiler in Terra Boa gegründet hat und den sie finanziert. Bildung, sagt sie, sei das Ticket in eine bessere Welt: Nur wer Portugiesisch lernt, oder Englisch, der habe eine Chance, einen Job in einem Hotel zu bekommen.

 

Mein Ticket war nur zwölf Tage gültig. Ich habe nicht im Hotel gearbeitet, sondern die Beine am Pool hochgelegt. Aber während der Touren und Wanderungen viel über das Leben, unser Leben in Wohlstand und Sorglosigkeit, gelernt, darüber, was es heißt, all das nicht zu haben. Ich habe gelernt, dass es ziemlich wichtig ist, fürs Überleben in einer solchen Welt, dass man Hoffnung hat. Die Menschen in Cabo Verde lächeln, lächeln, lächeln, auch und gerade, wenn es dafür vielleicht nicht soo viele Gründe gibt, lächeln, direkt dem Nordostpassat ins Gesicht, lächeln, Cesaria Evoras Sodade im Ohr und einen Grogue im Glas.

 

 Mit freundlicher Genehmigung von Ralf T. Mischer.